Machen wir uns nichts vor: Medal of Honor wird im Singleplayer durchgespielt, vielleicht noch mal besucht und dann in die Ecke gelegt. Jeder Shooter zieht seinen Wert größtenteils aus dem Multiplayer, den dortigen Scharmützeln und dem Drang, alle Ausrüstung und Auszeichnungen zu bekommen. Das Problem: Das Shooter-Genre ist dicht und vollgepackt: Call of Duty für die, die massig Plastikwaffen, pausenlose Action und drei Milliarden Belohnungen fürs Furzen wollen; Battlefield Bad Company 2 für die, die Taktik, Fahrzeuge und Zerstörung wollen. Und dann gibt es noch als weitere Anwärter auf den Multiplayer-Shooter-Thron: Halo, Counterstrike, Quake, Unreal Tournament und so weiter. Die große Frage: Hat man es abseits von der Taliban-Debatte - die jetzt übrigens Opposing Forces heißen - bei den Multiplayer-Spezialisten von Dice geschafft, ein großartiges Spiel zu schaffen, dass eine wirkliche Daseinsberechtigung hat?
Ein komplettes Desaster?
Der Multiplayer kurz und knapp
- Dedizierte Server, Serverbrowser & Matchmaking
- 24 Spieler pro Server
- 3 Klassen
- 4 Spielmodi
- Alles im Hardcore-Modus spielbar
- 8 Karten
- Karten unterscheiden sich optisch je nach Spielmodus
- 1 Fahrzeug
- 15 Ränge pro Klasse
- Scorechains, unterteilt in offensive und unterstützende Aktionen
- Medaillen und Badges
- Punkbuster als Anticheat & Unterstützt Streaming zu Anticheat-Communities
Sterben bis der Arzt auch tot ist
Ihr werdet sterben. Also nicht nur 2012 sondern in Medal of Honor. Man wird so oft in den wunderschönen Schmutz der dreckigen und realistisch aussehenden Maps beißen, dass man sich wie ein Besoffener im Sandkasten fühlen wird. Den Kopf aus der Deckung gesteckt – Plonk! Man ist tot. Die ersten Minuten oder im Extremfall Stunden wird man höchstwahrscheinlich von Tod zu Tod laufen, die Maus auffressen und Dice als die größten Trottel der Welt verdammen. Die Scharfschützen zu stark, die Sturmgewehre zu stark, die Pistole zu stark, die Granate zu stark, der Granatwerfer zu stark, die Raketenwerfer zu stark. Moment mal. Richtig – alle Waffe zu stark! Nach ein paar Minuten wird man plötzlich dann doch Erfolg haben – wenn man die Laufwege kennt. Wenn man sich etwas eingeschossen hat. Wenn man die Schlachtfelder und ihre Eigenheiten kennt. Und dann – wenn man gut ist – wird man plötzlich die ersten Scorechains erreichen, das erste Mal im Rang aufsteigen und sich topmotiviert und stolz wie Oskar durch Feindhorden ballern.
Punkte machen mehr Punkte...
In Tat und Wahrheit hat sich Medal of Honor neben dem schnellen Gameplay und den kleinen Maps noch etwas von Genre-Primus Call of Duty geliehen: Die Abschussbelohnungen. Die gibt es hier aber nicht für schnöde Abschüsse – sondern für Punkte. 50 Punkte, dann darf man einen kleinen und dafür blitzschnellen Mörserangriff ordern – das sind zum Beispiel 5 Abschüsse. Oder zwei Kopfschüsse und zwei Abschüsse. Oder zwei eroberte Ziele und ein Abschuss. Oder zwei Hilfsaktionen und zwei eroberte Ziele. Kurz: Auch Teamplay und “Killen mit Skill“ zählt etwas. Man muss aber nicht den Mörserangriff wählen – man könnte doch seinem Team ein UAV ordern, das alle paar Sekunden die Feinde auf der Karte aufdeckt. Dafür gibt es 30 Punkte – und die nächste Belohnung lauert bei 100 Punkten. Also: Etwas riskieren und eine Feindansammlung in den Orbit sprengen oder doch lieber auf Nummer sicher gehen? Und genau hier liegt eine tolle Stärke dieses Designs: Hilfsaktionen belohnen uns auch sehr gut. Camper sind schnell aus dem Weg gesprengt. Kurz: Selbst wenn man hier nicht in einer AC130 Tod und Verderben bringen darf – man hat sicher mehr Spaß. Und wird nicht von ewig lange herumbrummenden und übermächtigen Überabschussbelohnungen – teilweise aus der Glückskiste – gequält.
Maps mit Köpfchen
Ein Blick auf die Screenshots verrät es: Medal of Honor sieht im Multiplayer wunderschön aus. Es sieht realistisch aus - so wie man sich Afghanistan eben vorstellt. Volumetrischer Rauch, unfassbar knallige und wuchtige Explosionen, massenhaft kleine Details - all das ist großartig. Und jede Karte hat einen Grundgedanken, ein Thema. Mal kämpft man zwischen Ruinen in einer Stadt, dann in einem Flussbett, dann in einem Dorf und an einer Höhle. Man muss - eingedenk der Scharfschützenthematik - natürlich permanent Deckung suchen. Die ist zwar reichlich vorhanden, ist aber schnell auch wieder sinnlos, wenn der Feind aus einer anderen Richtung kommt. Und das werden die Feinde schnell - weil man bei Dice nicht nur einen möglichen Weg ermöglicht hat. Die Karten sind so geschickt aufgebaut, dass man immer eine Option hat - und die ist generell wunderschön, lögisch und passt einfach in das Szenario. Kurz: Keine drei Milliarden Verstecke, nicht nur ein Flaschenhals, eingängige Laufwege, klarer Aufbau und nie zu viele Optionen oder Belohnungen für Camper. Wie von Dice gewohnt sind die Animationen und der Sound wieder eine eigene Liga unter den Super-Shootern - wenn man dicht neben einem Raketenangriff steht, dann ist das einfach nur beeindruckend. Und krass. Der Rauch, der Sound, das Gewackel, das Dröhnen in den Boxen, der feine Staub danach in der Luft - wow. Und ganz nebenbei gehen Vasen und Töpfe am Boden zu Bruch - oder Zäune. Ein bisschen Zerstörung muss eben doch sein. Und alles ist technisch über jeden Zweifel erhaben.
Modi mit Bart
Plötzlich wird man vorne sein. Man wird sich auf andere Modi werfen – von denen es insgesamt vier gibt. Ein ganz normales Team Deathmatch ist immer ein guter Start; weiter geht es mit einem Flaggeneroberungsmodus. Der macht eine Menge Spaß, ist angenehm fordernd und schnell. Dann gibt es den Bombenmodus, in dem die OPFOR zwei Ziele auf kleinen Versionen der Maps innerhalb von fünf Minuten per Sprengsatz hochjagen muss. Und dann wäre da noch der Objektbasierte Modus, in dem man sich von Ziel zu Ziel vorkämpft, nach jedem Ziel ein paar neue Tickets bekommt und hofft, dass man nicht zu oft stirbt. Jeder Wiedereinstieg kostet nämlich ein Ticket. Außerdem gibt es dank dedizierter Server genug Einstellungsmöglichkeiten, Modi wechseln auf dem Server problemlos. Und es gibt einen gnadenlos schweren Hardcore-Modus, in dem Minimap und HUD fehlen. Übrigens: Da ist man noch schneller tot. Kurz: Man wird die acht Schlachtfelder schnell verinnerlicht haben, und sich schnell auf das Wesentliche konzentrieren: Sich seinen Bart zu verdienen.
3 X 15 = Spaß?!
Die Waffe gibt’s nicht?!
Medal of Honor bietet Vorbestellern abseits des “Battlefield 3“-Beta-Keys zwei exklusive Waffen im Multiplayer:- Limited Edition: H&K MP7
- Tier 1 Edition: M60 und H&K MP7
Skill zählt, der Rest ist was für Pussies!
Jetzt aber mal Blut und Morde beiseite und zum Kern des Geredes: Eigentlich versucht der Schreiber hier doch nur, die geringe Motivation schönzureden. 15 Rangaufstiege, drei Klassen – was soll das? Allein Call of Duty: Modern Warfare 2 hat 50 Ränge und 10 Prestige-Stufen! That’s the shit! In Tat und Wahrheit könnte man sich etwas mehr Belohnungen und Co. wünschen – aber das ist egal. Eigentlich kämpft man dafür, der Beste zu sein. In der Rangliste. Und dafür muss man nicht tausend Stunden spielen. Man muss gut spielen. Gegen gleich starke oder stärkere Gegner. Wie gut wir sind, wird durch den Skill-Level beschrieben. Von 0 Punkten – Opfer vom Dienst und total wertloses Kanonenfutter – bis hin zu mehreren tausend Punkten – Gott und Herrscher des Schlachtfelds – ist alles machbar. Wer jetzt gegen bessere Gegner spielt und auf die Zwölf kriegt – macht nichts. Es geht aufwärts. Wer aber bewusst als erfahrener Spieler auf einen Server geht, wo sich Anfänger tummeln, wird seinen Skill-Level trotz toller Abschusszahlen und -Quoten schneller sinken sehen als die Titanic. Und genau hier greift das Matchmaking: Das packt uns auf die Server, auf denen vom Skill her ähnliche Spieler sind. Man kann sich natürlich auch im generell sehr gut funktionierenden und vielen Optionen strotzenden Serverbrowser tummeln – kann da aber auch schnell auf einen Server mit Kanonenfutter gelangen und dort seinen Skill-Level zurück in die Steinzeit schießen.
Für die ganz Harten und Coolen
Also - die Frage der Fragen: Was ist besser? Call of Duty? Battlefield? Oder doch das hier getestete Medal of Honor? Wir wissen es nicht. Das hängt ganz allein davon ab, was ihr lieber mögt. Harte Action und komplett auf Skill und Reaktionen beruhende Gefechte? Dann seid ihr bei Medal of Honor richtig. Man wird sterben. Man wird leiden. Und man wird doch mehr Spaß und Befriedigung aus einem Abschuss ziehen können als in Call of Duty. Man kann Call of Duty und Medal of Honor im Multiplayer mit Frauen vergleichen: Medal of Honor ist eine wunderschöne und unglaublich schwer zu erobernde sexy Frau, Call of Duty eine in die Jahre gekommene und nicht mehr ganz so schicke Prostituierte, mit der man immer mal wieder eine schnelle Nummer schieben kann. Ich persönlich finde Medal of Honor besser – es ist schöner, actionreicher, taktischer, herausfordernder. Und es macht mehr Spaß. Trotzdem ist Medal of Honor auch nicht perfekt – eine gnadenlose Lernkurve, nur wenig Spielmodi, Ausrüstung und Auszeichnungen knabbern am tollen Eindruck. Und eine Runde ist wirklich anstrengend. Trotzdem: Scheiß drauf. Was zählt ist der Spaß, die Herausforderung. Die gibt es – trotz der aufgezählten Schwächen – hier ohne Ende. Deshalb ist trotz des Verlustes des Content-Vergleichs Medal of Honor besser als Call of Duty. Für mich. Und ich will endlich mehr Waffen haben. Und meinen Bart und so weiter überall spazierentragen.
9/10
Knackschwer, wunderschön und motivierend.
Alle Screenshots mit HUD im Artikel sind mit maximalen Details und DirectX11 Ingame entstanden. Da die FrostBite-Engine 1.5 zum Einsatz kommt sieht das Spiel extrem gut aus, kann aber in den höchsten Einstellungen im Vergleich zum Singleplayer deutlich mehr Leistung fordern.
Der "Medal of Honor"-Singleplayer im Test
Es gibt Spiele, die viel wollen. Sehr viel. Medal of Honor ist ein solches Spiel. Ein Spiel, das sich als Reboot einer der großartigsten Shooter-Serien der Welt versteht. Ein Sprung in die heutige Konsolen- und Technikgeneration. Medal of Honor will so viel, klingt so ambitioniert. Kann das gut gehen? Kann man Hollywood mit Respekt vor Soldaten und Realismus und realistischen Missionen verbinden? Man will viel – und man hat dafür auch viel getan. Ist das Risiko, das erste Spiel im Afghanistan-Szenario zu sein wirklich sinnvoll? Am Ende zählt doch nur, was dir gefällt. Oder mir. Und wie gut Medal of Honor – angekündigt als der “Call of Duty“-Killer, absolute Reboot der Franchise und geniales Game - denn auch wirklich geworden ist. So viel vorweg: Medal of Honor ist nicht perfekt. Es hat einen leicht zähen Einstieg. Es hat Fehler. Aber – auf gut Deutsch gesprochen – es macht auch verdammt viel Spaß. Nur wie viel, wie gut was genau ist und wo die Entwickler ins Taliban-Klo gegriffen haben – das findet ihr bei uns. Im Test.
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geschrieben von Sir Uruk.Inc
am 17.10.2010 um 19:45 Uhr
am 17.10.2010 um 19:45 Uhr